Es gibt so viel Gewalt und Terror auf der Erde und wir sind mit unserem eigenen Wohlstand so beschäftigt, dass wir vergessen, dass es bei allen Konflikten, Kriegen und Migrationsbewegungen stets Opfer gibt. Am härtesten trifft es die Kinder und Frauen, die Opfer werden von sexuellem Terror, der häufiger vorkommt als vielleicht angenommen. Immer mal wieder hören wir davon im Fernsehen, lesen darüber in der Zeitung und danach vergessen wir es vielleicht wieder oder denken einfach nicht mehr daran. Dabei passiert sexueller Terror jeden Tag. Dies wurde mir ganz besonders ins Gedächtnis gerufen, als ich vergangene Woche fünf beeindruckenden Frauen zuhören durfte, die uns ihre Geschichten bei „Stand Speak Rise Up“ erzählten, die von der Großherzogin Luxemburgs Maria Theresa organisiert worden war.
„Über Burundi wird kaum berichtet“, beklagte sich Aline Munezero. “Burundi scheint der Welt gleichgültig zu sein.” Aber ihr Schicksal und das der anderen Frauen und Kinder können und dürfen uns nicht gleichgültig sein. Ihr Appel soll uns wachrütteln und gleichzeitig kann diese Frau Bewunderung erwecken durch ihre klare Aussage: „Solange ich lebe, werde ich aufrecht stehen und alle Männer, die mich misshandelt haben, anzeigen!“
Sie sprach von einer Realität, in der wir versuchen zu verleugnen, dass überall, wo es bewaffnete Konflikte gibt, auch sexueller Terror systematisch als Kriegswaffe angewendet wird. Fehlende oder schwache Rechtssysteme machen automatisch die Kinder und Frauen zu leichten Opfern.
Frau Munezero erzählte auch, dass Burundi einst einmal das „Land, wo der Honig fließt“ war und heute ist es stattdessen „das Land, wo nur die Tränen fließen“.
Die Verursacher der Konflikte und die Gewalttäter kommen ungeschoren davon und genau gegen diese Straflosigkeit richtet sich der Kampf von der Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, einem Opfer des sexuellen Terrors der IS in Syrien. Heute ist sie die Stimme, die sich dagegen erhebt. Ihre Empörung richtet sich gegen die internationalen Gerichte, da sie feststellte, dass niemand von der IS zur Rechenschaft gezogen worden ist, obwohl die Namen der Täter bekannt sind. Sie appelliert an alle möglichen Länder, etwas gegen diese Verbrecher zu unternehmen.
Eine überraschende Wende brachte Ekhlas Khudhur aus dem Irak. Sie strahlte fröhlich und sah sehr sicher und selbstbewusst aus. Auch sie ist dem sexuellen Terror zum Opfer gefallen und sagt: „Ihr wundert euch vielleicht, dass ich lächle, aber eines muss ich euch sagen: Mein Lachen ist mein persönliches Symbol für Stärke.“
Wir wechselten den Kontinent zu einer Überlebenden aus Kolumbien: Frau Fulvia Chunganá erzählte voller Trauer ihre Geschichte. Als sie schwanger und dies offensichtlich zu sehen war, wurde sie Opfer eines unvorstellbaren Terrors. Dass sie überlebt hat, ist fast ein Wunder und wenn man ihre Geschichten hört, fragt man sich stets, wo unsere Menschlichkeit geblieben ist
Dank des Mutes dieser Frauen erfuhr die Welt, dass es aktive und passive Gewalttäter gibt. Mit passiven sind nicht nur die gemeint, die anderen bei deren Gewalttaten zusehen, sondern auch die Regierungen, die diese Handlungen nicht bestrafen. Die Opfer erfahren eine doppelte Misshandlung: Nicht nur ihre Körper werden misshandelt, sondern wenn sie ihr Schamgefühl überwinden und sich entschließen, diese Taten anzuzeigen, werden sie zuerst auf der Polizeistation beschuldigt, die Tat in irgendeiner Weise provoziert zu haben. Oder aber man lässt sie ihre Aussagen so oft wiederholen und von vorne erzählen, bis es eine kleine Abweichung gibt und die Aussage folglich als Falschaussage abgeheftet werden kann.
Wenn man diese Geschichten hört, möchte man sich einreden, dass dieser sexuelle Terror nur im Globalen Süden stattfindet.
Aber die tapfere Frau Iryna Dovhan aus der Ukraine zerstörte diesen Gedanke fälschlicher Sicherheit: Auch an den Türen zu Europa wird der sexuelle Terror als Waffe gegen bestimmte ethnische Gruppen angewendet. Iryna Dovhan wurde mehrere Tage lang gefoltert und gefangen gehalten. Warum? Wegen einer „falschen“ Anschuldigung. Und nach einigen Tagen dann wurde sie auf der Straße an eine Laterne angekettet, der Mund zugeklebt. Sie wurde mehrmals geschlagen und gedemütigt.
Wenn man all diese Geschichten hört, denkt man sich, dass es verständlich wäre, Trauer oder Mitleid zu empfinden. Aber die Idee dieser Frauen, ihre Geschichten zu erzählen, war eigentlich das Gegenteil: Sie wollten den Frauen, deren Stimmen noch nicht gehört wurden, Hoffnung geben und von ihrer gemeinsamen Stärke erzählen. Sie alle haben ihr Leid in eine unglaubliche Stärke umgewandelt und jetzt liegt es an uns, sie nicht im Stich zu lassen.
Ebenso inspirierend wie der Mut dieser Frauen war auch die anschließende Rede von der Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege. Er fordert, die Machtstrukturen grundlegend zu verändert und die Toxische männliche Konstruktion, wie sie in vielen Kulturen und Gesellschaften verankert ist, ein für alle Mal zu dekonstruieren und abzuschaffen. Mit dieser Konstruktion meint er die Idee von einer männlichen Überlegenheit, die seiner Meinung nach der Grundstein des Leidens der Frauen auf unserer Welt ist.
In der Bildung sollte ihm zufolge bei den Jungen und jungen Männern der Zugang zu ihren Gefühlen stärker gefördert werden, denn ein beschränkter Zugang zu ihren Emotionen beeinflusst auch ihr Handeln.
Seine Vision: Wir sollten zuerst die Idee, die Toxische Männlichkeit abzuschaffen, umarmen und langsam diese Botschaft in unsere Herzen lassen, damit die Menschheit bald eine Welt erleben kann, die heute noch eine Utopie zu sein scheint, nämlich eine Welt, wo der sexuelle Terror eine Handlung der Unmenschlichkeit ist, die zur Vergangenheit gehört. Wir sollten ihn in die dunklen Keller unserer Museen verbannen. Aber zuerst werden wir den utopischen Zielen ein Stück näherkommen, wenn wir den Kampf gegen die Auslöschung des sexuellen Terrors antreten. Und dieser Kampf hat bereits begonnen.
Fernando Andia
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